Einst repräsentative Fabrikantenvilla am Rande einer mehrere Tausend Quadratmeter großen Produktionsstätte der weltweit bekannten "Königl.Sächs.Hof-Pianopforte-Fabrik Julius Blüthner, Leipzig", nunmehr sanierungsbedürftiges, einziges Relikt dieser Fabrik inmitten einer Baustelle.
In der Kulturdenkmalliste des Freistaates Sachsen wird die Villa in der Käthe-Kollwitz-Straße 46 mit der Objektnummer 09290272 geführt und dabei angemerkt: “Fabrikantenvilla mit Garten; historisierende Putzfassade, baugeschichtlicher Wert als einer der frühesten erhaltenen Villenbauten an der Plagwitzer Verbindungsstraße, benannt nach dem Erstbesitzer, der Klavierfabrikantenfamilie Blüthner,…“
Die freistehende Villa ließ besagter Julius Blüthner, deutscher Klavierbauer und Gründer der Julius Blüthner Pianofortefabriken 1858 im Stil des Klassizismus auf einem straßenseitigen Flurstück nahe dem ehemals dahinterliegende Fabrikgelände errichten.
Der zweigeschossige Bau mit hölzernem Anbau und markanten Eingangsbereich ist auf einer Ansicht von 1903 sehr gut zu erkennen. Heute ist die Villa in einem eher bedauernswerten Zustand am Rande einer Baustelle.
Wer war der offensichtlich wohlhabende Villenbesitzer und was gibt es über seine Pianofortefabrik zu berichten.
Julius Ferdinand Blüthner wurde am 11. Marz 1824 in Falkenhain, im Landkreis Altenburger Land als Sohn eines Tischlers geboren. Er begann bei seinem Vater eine Lehre als Möbeltischler, die er in Zeitz beendete. 18jährig nahm er eine Anstellung bei der Pianopfortefabrik „Hölling und Spangenberg" in Zeitz an. Hier ist der Grundstock für seine Leidenschaft für den Klavierbau zu finden.
Hinweis:
Wie auf der Werbung zu sehen hatte die Pianopfortefabrik "Höfling und Spangenberg", Zeitz in Leipzig ein permanentes Lager in Hohmann´s Hof.
Nach seiner Soldatenzeit in der Nordhäuser Jägerkaserne brachten die Revolutionsjahre 1848/49 für den Instrumentenbau wirtschaftlich schwere Zeiten. Es wurden kaum Neubestellungen ausgelöst. Der Instrumentenbau kam zum Erliegen, so das Blüthner seinen Lebensunterhalt mit dem Stimmen und Reparieren von Klavieren bestritt. Anfang der 1850er Jahre arbeitete er dann, bei der Pianofortefabrik Alexander Bretschneider in Leipzig, (1833-1910).
Leipzig war zu dieser Zeit eine aufstrebende Handels-, Kultur- und Musikstadt mit wohlhabenden Bürgertum. 1853 nutzte Blüthner den wirtschaftlichen Aufschwung und den Nähboden, den Leipzig als Stadt europäischer Musikkultur bot und gründete am 07. November seine eigene Pianofortefabrik im Westen der Stadt, Plagwitzer Straße Ecke Weststraße. Der Start begann in angemieteten Räumen mit drei Angestellten. Im Frühjahr 1854 verkaufte Blüthner seinen ersten eigenen Flügel.
Die weitere Entwicklung seiner Firma, die sich fortan auf die Herstellung hochwertiger Instrumente in edler Ausführung spezialisierte, ging rasant: „Im vierten Betriebsjahr beschäftigte er bereits 14 Arbeiter. 1856 kam die „Blüthner-Patentmechanik“,..…“auf den Markt. 1858 erwarb Julius Blüthner die gemieteten Räume.“ Quelle (1).
Im gleichen Jahr ließ er die Villa am Rande des Betriebsgeländes errichten.
Fotos: Norbert Lotz / 16.02.2024
„1862 wurde das Instrument Nummer 500 fertiggestellt. 1863 wurden erstmals Pianos in der Fabrik hergestellt““Später kaufte Blüthner ein Grundstück im selben Viertel und baute dort eine für hundert Arbeiter berechnete Fabrik. 1864 zog die Pianofortefabrik mit 37 Arbeitern in den Neubau. Kurze Zeit später war der Betrieb voll besetzt und es wurde industriell gefertigt.
Auf Weltausstellungen erlangte Blüthners Betrieb weitere Bekanntheit. Insgesamt gewann Blüthner bis 1903 neben zahlreichen anderen Preisen und Auszeichnungen auf zwölf Weltausstellungen Preise. Die steigende Nachfrage nach Instrumenten zog eine weitere Expansion nach sich. So wurde 1870 eine zweite Fabrik gebaut und mit Dampfmaschinen ausgestattet. 1872 baute er eine dritte Fabrik im Anschluss an die erste, und es wurden weitere 170 Arbeiter eingestellt.
Blüthner erfand 1873 den Aliquot-Flügel…In London wurde 1876 eine Verkaufsniederlassung gegründet, die Instrumente in England und in den englischen Kolonien verkaufte. Blüthner hatte bereits zuvor mit dem Aufbau eines weltumfassenden Vertriebsnetzes begonnen. Um 1877 folgten weitere Erweiterungen der Fabrik. Die Fabrikanlage umfasste nun ein ganzes Straßenviertel. Nach zwanzig Jahren beschäftigte Blüthner über achthundert Mitarbeiter. 1878 wurde eine Ausstellungshalle für das Publikum eingerichtet.
1881 wurde ein neues Fabrikgebäude errichtet. 1888 entstand ein Sägewerk in Leutzsch, um den wachsenden Bedarf an zugeschnittenen Hölzern abzudecken, und ein Holzlager angegliedert, in dem die benötigten Holzarten lagerten.
1890 wurde wiederum ein neues Fabrikgelände errichtet, das für 230 Arbeiter Platz bot.“ Quelle: (1)
Die Fabrikanlagen wurden ständig erweitert und vergrößert. 1890 verfügte die Blüthner Pianopfortefarbrik über 85.000 m2 Produktionsfläche, wohlüberlegt in die spezialisierten Fertigungszweige aufgeteilt. Über 1.200 Arbeiter, darunter viele Fachleute waren dort in Lohn und Brot. Blüthner gehörte zu dieser Zeit zu einer der größten Klaviermanufakturen Europas. Die Produktionskapazitäten stiegen ständig, im Jahr 1903 bezifferte man die Jahresproduktion auf 3000 Stück.
1903, kurz nach dem 50-jährigen Geschäftsjubiläum, zog sich der 81-jährige Blüthner aus der Firma zurück und übergab die Geschäfte seinem Sohn Adolf Max Blüthner (1862–1919).
„Angesichts der rasch fortschreitenden Erweiterung der Flügelund Klavierproduktion war Julius Blüthner von Beginn an darum bemüht, die Firma über seinen Tod im Jahre 1910 hinaus, als Familienbetrieb zu organisieren. Von seinen insgesamt 8 Kindern (4 Mädchen, 4 Buben) kamen, der damaligen Auffassung entsprechend, nur die Letzteren für eine verantwortliche Tätigkeit in der Firma in Betracht. Julius Blüthner sen. war ein gestrenger, Widerspruch kaum duldender, Lehrherr. Alle Söhne mußten den Betrieb von der Pike an durchlaufen.“ Quelle (2)
Am 13. April 1910 starb Julius Blüthner in Leipzig. Er wurde im Blüthnerschen Erbbegräbnis in der IV. Abteilung des Neuen Johannisfriedhofs beerdigt. Danach lag die geschäftliche Leitung bei Robert Blüthner und die technische Leitung bei Adolf Max Blüthner, die nach dessen Tode Heinrich Bruno Blüthner (* 9. August 1869; † 7. März 1946) übernahm.
Auch in den Wirren des ersten Weltkrieges und danach wurde die Erfolgsgeschichte der Musikinstrumenten aus Leipzig weitergeschrieben.
„1935/36 beauftragte die deutsche Admiralität die als besonders innovativ bekannte Firma Blüthner mit dem Bau eines sehr leichten Flügels für das Luftschiff Hindenburg. Der Auftrag wurde mit Bravour erfüllt, und so „flog“ bzw. „schwebte“ der erste Blüthner, von aller Welt bestaunt, über den Atlantik. Das mit diesem Ereignis verbundene erste Klavierkonzert aus dem All wurde von 63 Radiostationen übertragen.“ Quelle (2)
Nach immensen Aufstieg kam Zerstörung, Neubeginn und Enteignung...
Wie so oft und vielerorts brachte der zweite Weltkrieg eine niederschlagende Zäsur für die Blüthner Pianopfortefabrik.
In den Bombennächten 1943 wurde das Areal stark getroffen, die Werksanlagen brannten bis auf die Grundmauern ab. Das Werk an der Weststraße war völlig zerstört. Ebenso ging 1943 bei einem Luftangriff auf Leipzig der ultraleichte (180 kg) Flügel aus Aluminium mit gelbem Schweinslederüberzug, die o.g. Spezialanfertigung für das Luftschiff LZ 129 „Hindenburg“ verloren, der sich im Zuge von Umbauarbeiten 1936 in Leipzig befand.
Nach Ende des Krieges wagte, ermutigt durch den Zuspruch befreundeter Musiker, DR. Rudolf Blüthner-Haessler, der seit 1932 die Firmenleitung inne hatte, einen Neuanfang. Er versammelte überlebende Klavierbauer um im von den Bomben verschont gebliebenen Blüthner´schen Sägewerk in Leutzsch wieder Musikinstrumente zu produzieren. Es ging wieder bergauf, bis die nächste Herausforderung vor dem historische Familienunternehmen stand.
„Nach dem Tod von Dr. Rudolph Blüthner-Haessler am 16. Juni 1966 übernahm Sohn Ingbert Blüthner-Haessler die Firmenleitung. Er wurde vom ostdeutschen Staat im Jahre 1972 mit der rechtswidrigen Enteignung und Verstaatlichung der Firma konfrontiert. Seine Entscheidung, als Geschäftsführer im Betrieb zu verbleiben, war bei allen verständlichen Bedenken und berechtigten Zweifeln politisch wie strategisch weitsichtig.“ Quelle (2)
1972 verstaatlicht, firmierte man dann unter dem Namen VEB Blüthner Pianos. Natürlich behielt man den Namen auch in der Bezeichnung des volkseigenen Betriebes bei, waren doch die Musikinstrumente aus dem Hause Blüthner weltbekannt und begehrt. Sicherlich sind mit den Instrumenten nicht wenige Devisen generiert worden. Blüthner Flügel und Pianos waren weiterhin in aller Welt zu finden und berühmte Songs entstanden auf ihnen. Die „Beatles“ spielten ihr Lied „Let It Be“und „The Long and Winding Road“ auf einem Blüthner-Flügel ein.
Udo Jürgens soll einen Flügel als Gage für Auftritte in der DDR bekommen haben und reiht sich in die Liste der Komponisten ein, die einen Blüthner Flügel besitzen oder besessen haben ein. „Blüthner belieferte verschiedene Adelshöfe. Ebenso besaßen die Komponisten Claude Debussy, Max Reger, Gustav Mahler, Franz Liszt, Richard Wagner, Pjotr Tschaikowski, Carl Orff, Dmitri Schostakowitsch und Andrew Lloyd Webber einen Flügel der Firma. Auch die Solisten Claudio Arrau, Ferruccio Busoni, Karlrobert Kreiten, Arthur Rubinstein, Wilhelm Kempff und Oleg Maisenberg gehörten zu den Kunden.“ Quelle (1).
Nach dem Ende der DDR ging das Unternehmen wieder ins Eigentum der Familie Blüthner zurück. Wieder erfolgte, wie auch bei der Firmengründung, eine vorrangig ins Ausland expandierende Firmenentwicklung. Die Julius Blüthner Pianofortefabrik unterhält Zentren in London, Moskau, Tokyo, Shanghai und Wien. Etwa 90 % ihres Umsatzes erwirtschaftet die Firma im Ausland.
1996 wurde im Gewerbegebiet Störmthal bei Leipzig eine neue Produktionshalle errichtet.
Die Grabstelle Nr 52 des Firmengründers Julius Ferdinand Blüthner auf dem Neuen Johanisfriedhof (am 1. Januar 1971 säkularisiert (Siehe dazu Hinweis X) existiert nicht mehr. Ebensowenig wie seine ehemalige Fabrik hinter besagter Villa.
Die Firma Blüthner existiert jedoch noch immer. Nunmehr ist die Produktionsstätte nicht mehr unmittelbar in Leipzig zu finden, aber die „Blüthner Pianopfortefabrik“ war und ist eine Marke deren Spuren sich noch in Leipzig finden lassen und deren wenige bauliche Zeugnisse unbedingt erhalten werden sollten.
Heute erinnert nur noch die restaurierungsbedürftige Villa im Areal zwischen heutiger Käthe-Kollwitz/Schreber- und Friedrich Ebert-Straße an die einstige Pianopfortefarbrik von Weltruhm. Die letzten Zeugnisse der Fabrik wurden abgetragen, das ganze Areal ist derzeit eine riesige Baustelle. Hier soll der „Stadthafen“ Leipzig (neu)entstehen.
Fotos: Norbert Lotz / 16.02.2024
Quellenangabe:
(1) Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Julius_Blüthner_Pianofortefabrik
(2) Website Blüthner https://www.bluethnerklaviersalon.de/tradition/geschichte
(3) Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_Johannisfriedhof
(X) Ergänzender Hinweis zum Neuen Johannisfriedhof:
„Im Zweiten Weltkrieg erlitt der Neue Johannisfriedhof Bombenschäden, was auf die Nähe des physikalischen Instituts der Universität zurückzuführen ist, in dem die Alliierten Forschungsarbeiten für die Herstellung einer Atombombe vermuteten. Die Leichenhallen in den Seitenflügeln der Kapelle wurden zerstört. Die Kapelle selbst war beschädigt, konnte aber nach provisorischer Reparatur noch genutzt werden. 1950 wurde die Beisetzungstätigkeit auf dem Neuen Johannisfriedhof mit der Absicht eingestellt, hier später einen Park zu gestalten. Zu diesem Zeitpunkt ruhten etwa 140.000 Leipziger auf diesem Friedhof.[1] Nach Einhaltung der Ruhefrist wurde der Friedhof am 1. Januar 1971 säkularisiert.
Dann begannen die systematische Zerstörung dieses kultur- und kunstgeschichtlich einmaligen Friedhofs und seine Umwandlung in einen Freizeitpark. Gruftanlagen wurden verfüllt, die Gräber beräumt und eingeebnet sowie die Trauerhalle abgerissen. Mit schwerer Technik wurden die Grabsteine zu einem mit Erde abgedeckten Hügel aufgetürmt, der später als Rodelhang dienen sollte. Damit wurde die ehemalige bürgerliche Elite der Stadt dem Vergessen anheimgegeben. Quelle (3)
Anmerkung: Für die Exhumierung der alten Gräber wurden Studenten und Freiwillige rekrutiert. Mein Vater und sein damaliger Schulfreund wollten sich so eine "schnelle Mark" dazuverdienen. Jedoch brachen Sie das Vorhaben nach dem ersten nächtlichen Einsatz ab. "So hatten wir uns das nicht vorgestellt, das konnten wir einfach nicht" war seine Begründung in seinen Erzählungen über dieses zweifelhafte Erlebnis aus Jugendtagen.
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